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Die Angst zu Ende denken

Angst

Wovor hast du Angst? Ich rede hier nicht von der Furcht vor realen Gefahren, wie einem steilen Berghang. Sondern die Angst vor Situationen, wie andere Menschen anzusprechen, dein Ding zu machen oder spezifischen Dingen, beispielsweise auf der Bühne zu stehen. Da fallen dir sicherlich eine Menge Sachen ein. Das ist normal, mach dir darüber keine Sorgen. Vielleicht hast du Lust auf eine Entdeckungsreise, die dir helfen kann, diese Ängste aufzugeben?

Es hilft, wenn du die Methode mit einer zweiten Person durchführst, die dich dabei begleitet und das, was du sagst, aufschreibt. Wenn du absolut ehrlich zu dir bist, kannst du sie aber auch alleine durchführen. Achte vor allem dann darauf, dass du Schritte, die dich überraschen zulässt und solche, dir zu schnell vorkommen, hinterfragst.

Hinter jeder Angst liegt eine Horrorfantasie. Es geht schlicht darum, diese zunächst kennen zu lernen. In einem zweiten Schritt können wir dann schauen, wie wir mit ihr umgehen. Um sie kennen zu lernen, fragen wir uns beginnend mit der Angst immer wieder „Und was ist daran so schlimm? Was könnte Schlimmes passieren?“ Das wiederholen wir so lange, bis wir intuitiv merken, dass wir die finale Horrorfantasie gefunden haben. Und glaubt mir, wenn ich sage, dass du sie erkennen wirst.

Ein Beispiel für eine Angst

Machen wir ein konkretes Beispiel, das mir vor einigen Jahren wiederfuhr. Die Situation war, dass ich in einem Zug einer jungen Frau gegenübersaß, die offensichtlich zu einem Bewerbungsgespräch fuhr. Alles, was ich wollte aber nicht schaffte, war ihr viel Erfolg zu wünschen. Kurz gesagt: Ich hatte Angst davor, sie anzusprechen. Spielen wir die Horrorfantasie mal durch. Sie mag stellenweise verrückt klingen, aber dazu komme ich noch.

Was ist daran so schlimm? Was könnte Schlimmes passieren?
Sie findet es total blöd, dass ich sie angesprochen habe.
Und dann? Was ist daran so schlimm? Was könnte Schlimmes passieren?
Sie findet mich total blöd und erzählt jedem, dass ich sie komisch angemacht hätte.
Und dann? […]
Sie erzählt das all ihren Freunden und die erzählen es weiter.
[…]
Irgendwann erfahren es meine Freunde, Kollegen und Geschäftspartner. Die finden mich dann auch alle total doof.
[…]
Dann wollen die alle nichts mehr mit mir zu tun haben und meiden mich!
[…]
Ich gerate in Panik, weil ich keine Aufträge mehr bekomme und das Geld ausbleibt. Das merken alle meine anderen Kunden und fange auch an, mir zu misstrauen.
[…]
Ich bekomme keine Aufträge mehr und verdiene kein Geld mehr.
[…]
Dann verliere ich meine Wohnung und meinen Lebensstandard. Dann will erst recht keiner mehr was mit mir zu tun haben.
[…]
Ich bin total einsam. Ohne Kontakte bekomme ich keine Zuwendung mehr und auch kein Geld.
[…]
Ich gehe ein wie eine Blume, die nicht mehr gegossen wird, und sterbe.

Das klingt verrückt: Ich kann sterben, wenn ich die junge Frau anspreche. Kein Wunder, dass ich verdammt viel Angst davor habe! Immerhin ist das eine lebensbedrohliche Situation!

Tatsächlich enden alle Ängste, die ich bisher kennen lernte, immer in einer existenziellen Bedrohung. Beispiele neben dem Sterben sind Wahnsinn (verrückt werden), kompletter Kontrollverlust oder absolutes Alleinsein. Dabei sind diese indirekte Versionen des Sterbens. Beispielsweise ist immer noch evolutionär in uns verankert, dass Alleinsein, der Ausschluss aus der Horde, den Tod bedeutet (hat). Das erklärt, warum die Angst so stark sein kann.

Was kann ich tun, wenn ich auf diese Art eine Angst zu Ende gedacht habe?

Verrücktheit klar machen

Oftmals reicht es schon, wenn wir uns die Verrücktheit durch diese Methode klar machen, dass die Angst abnimmt oder verschwinden kann. In dem Beispiel ist leicht einzusehen, dass ich vermutlich nicht sterben werde, nur weil ich die junge Frau anspreche.

Glaubenssätze finden und lösen

Diese Methode setzen wir bei meinem Lehrer Christian Meyer auch ein, um Glaubenssätze besser zu verstehen und zu lösen. Startet man mit einer Angst, kommt man oft an einem Glaubenssatz „vorbei“. Im Beispiel könnte das beim drittletzten Schritt etwas sein wie: „Nur wenn ich anderen etwas biete, mögen sie mich.“ Diese kann man auf vielfältige Weise bearbeiten, womit man ganze Bücher füllen könnte. Ich bevorzuge öffnende Alternativsätze, beispielsweise: „Ich gehe so wie ich bin offen auf andere zu und lasse mich davon überraschen, ob sie mich mögen oder nicht, und nehme alle Gefühle an, die dadurch entstehen.“

Fünf Gründe, warum du jetzt nicht sterben kannst.

Thomas Klüh empfiehlt in seinem Buch „Mein Weg zum Glück“ unter anderem fünf Gründe zu finden, warum man jetzt nicht sterben kann. Das ist vor allem als „Notfallmedizin“ hilfreich, wenn eine Angst auftaucht, die man schnell überwinden möchte. Ich empfehle, sie später dennoch zu analysieren.

Und dann? Was könnte Positives passieren?

Zellmi berichtete auf einer Barcamp-Session, dass er sich zur Horrorfantasie auch die Traumfantasie vorstellt. (Die ebenso verrückt ausfallen darf. Im Beispiel hätte ich die Frau wohl in ein Gespräch verwickelt, sie geheiratet und mit ihr Kinder bekommen. Oder so.) Dann kann man sich klar machen, dass die Realität irgendwo zwischen den beiden Extremen liegen wird.

Vielleicht findest du weitere Varianten, wie man damit weiter verfahren kann. Dann freue ich mich über deinen Kommentar von dir.

Ich würde mich freuen, wenn du mit dieser Methode die eine oder andere deiner Ängste konfrontierst und auflösen kannst. Auch da freue ich mich über Kommentare, wie es euch damit ergangen ist.

Foto: Scott Liddell

4 Kommentare

  1. So weit, so gut…

    Jedoch ist es mir sehr wichtig, dass die Methoden, die du ansprichst, keine langfristige Lösungen bei Menschen mit Angststörungen bringen werden. D.h. sie können in konkreten Furcht-Situationen hilfreich sein. Wenn man sie dann wieder und wieder gezielt wiederholt, auswertet und dadurch trainiert, kann sich ein routinierterer Umgang mit der jeweiligen Problematik einstellen.

    Das ist vergleichbar mit dem Erlernen eines Instruments, wer viel übt, wird besser werden, positive Rückmeldungen bekommen, sich gut fühlen, Experte werden. Diese Erfahrungen geben einem dann Sicherheit und Sicherheit nimmt die Angst.

    Wen seine Ängste im Alltag stark behindern, depressiv machen oder Panikattacken auslösen, sollte über eine Therapie nachdenken.

    Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus, kann ich sagen, dass ich es für essentiell wichtig halte, seine Angst-Problematik niemals durch mehreren Therapie-Methode bzw. -Ansätzen gleichzeitig lösen zu wollen. Eins nach dem anderen. Eine Verhaltenstherapie kann einen z.B. erst einmal wieder handlungsfähig machen, so dass man sein Leben wieder halbwegs normal führen kann. Wer dann noch mehr über die angstauslösenden Ursachen, Prägungen und Muster erfahren will, kann z.B. danach noch einmal tiefenpsychologisch an die Sache herangehen.

    Ganz wichtig: Wenn man selbst oder Freunde/Verwandte die Befürchtung hat/haben, dass man z.B. nicht einfach nur etwas schüchterner ist, sollte man das mal von einer Fachperson abklären lassen. Ich halte es für fast schon fahrlässig dies nicht zu tun. Erste Anlaufstelle kann der Hausarzt oder ein Krankenhaus sein.

    Von Selbstheilungsversuchen halte ich wenig … eigentlich gar nichts.

  2. Du hast Recht: Wenn die Ängste krankhaft sind, sollte man sich von Therapeuten helfen lassen. Und die Grenze zu erkennen ist manchmal schwierig.

    Ich rede hier aber von den „normalen“ Alltagsängsten, wie wir die alle haben. Vor Herausforderungen privater und beruflicher Natur, vor Veränderungen, etc.

    In einer Beratung benutzte ich das, weil die Person sich nicht traute, eine bestimmte E-Mail zu beantworten. Weit entfernst von einer krankhaften Angst – es war nur diese eine E-Mail. Dennoch führte das Hinterfragen zu genau einer solch existenziellen Horrorfantasie. Das half dann, dass die E-Mail beantwortet werden konnte.

  3. Waldmann

    Es helfen auch die 5 Gewissheiten aus dem Buch: Die Kunst des glücklichen Lebens (Gebundene Ausgabe)
    von Thich Nhat Hanh.
    „Du wirst sterben“. (Wie jeder Mensch). Tja, da verliert nach etwas Übung der Tod seinen Schrecken.

  4. @Waldmann: Auch ein spannender Ansatz! In der Tat liegt die Wahrscheinlichkeit, dass wir alle sterben werden, bei genau 100%.

    Im Beispiel könnte das so aussehen: „OK, vielleicht werde ich sterben, wenn ich diese Frau jetzt anspreche. Aber hey, sterben muss ich sowieso – also kann ich es darauf ankommen lassen und schauen, ob ich wirklich sterbe, wenn ich sie anspreche.“

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